Kein Fink, keine Linde

Mehr als ein halbes Jahr müssen wir diese ebenso demütigenden wie nutzlosen Schandmasken jetzt schon tragen – und manche Leute können anscheinend gar nicht genug davon kriegen und schrauben sich die Gesichtswindel sogar im Freien in die Visage. Andererseits: Im Wienerwald sind wir noch keinem dieser Heloten begegnet, also besteht vielleicht doch noch Hoffnung für die Menschheit. Als wir den Zug in Rekawinkel mit ein paar anderen rucksackbewehrten Menschen verlassen, heißt es bei allen: Bahnhof verlassen, Maske abnehmen, Markierung suchen und wandern!

Schon die erste kurze Etappe, in der wir der Richtung „Troppberg“ folgen, führt durch ein herrliches spätherbstliches Waldstück (Bild oben) und geht so bergauf, dass man als Maskierter sowieso dem Luftmangel erliegen würde … Wir halten uns hier übrigens an die Route mit der Nr. 10 („Beim ,Fink in der Au‘ “) aus unserem Buch „Wandern im Wienerwald“, das genauso ins Handgepäck gehört wie Wurstbrote und erfrischende Getränke.

Wenige Minuten später gehen wir nach diesem ersten steileren Stück über eine Wiese und an dem obigen Tümpel vorbei, den wir nun wirklich schon zu jeder Jahreszeit gesehen und photographiert haben.

Wenn die gelbe Markierung nach rechts Richtung Pressbaum abzweigt, bleiben wir auf Rot und marschieren weiter bergan, zwischen Wald und Hecke (die manchmal da ist und manchmal nicht; aber keine Angst: sie schießt nach jeder Rodung binnen weniger Wochen wieder in die Höhe und spendet Schatten). Auf diesem Teilstück merken wir erstmals, dass das seit Tagen trockene (zumindest in Wien) Wetter täuschend war. Hier draußen ist es unter dem Laub glitschig, gatschig und rutschig. Dieses Phänomen wird uns auf der gesamten Wanderung begleiten, sodass wir – wenigstens manche von uns – sehr vorsichtig dahergehen, mit diesem gewissen Schritt, der so wirkt, als hätte man sich in die Hose gesch…en. Aber wenigstens schmeißt es uns so nicht.
Im nächsten Waldstück folgen wir der nach links weisenden Markierung „In der Au, Gasthof Fink“. Wir gehen (vorsichtig) einen herrlichen Waldweg entlang und stoßen nach ein paar Minuten auf die Vernichtungsspuren, die ein Harvester im Wald hinterlassen hat. (Merke: Harvester sind für den Wanderer ungefähr so lästig wie Mountainbiker – nur sind sie auf wesentlich gefährlicherem Gerät unterwegs.) Abgesehen von den frischen Holzstößen am Wegesrand, die uns ja wurscht wären, wenn’s nicht so schade um den Wald wäre, sind vom verheerenden Wirken des Baum-Serienkillers tiefe Spuren im Boden zurückgeblieben, rutschig und mit Wasser gefüllt. Wir arbeiten uns auch da durch, ohne Sturz, aber dafür bis über die Knöchel schlammverziert.

Irgendwann kommen wir dann doch zum „Fink in der Au“, der Gaststätte, die wir in diesem Beitrag erwähnt haben – und in der wir später, als sie grad keinen Ruhetag hatte, mit großem Genuss essen und trinken waren. Hervorragende Küche, nette Leute. Aber leider stimmt der Titel von damals („Der Fink und die Linde“) so gar nicht mehr: Beim „Fink in der Au“ ist seit gut einem Jahr nichts mehr los. Man weiß nicht, warum; im Internetz hieß es zuerst „Personalmangel“, dann „Umbau“, und jetzt schweigen sich die Wirtsleut’ überhaupt aus. Schade drum. Was mit der „Linde“ ist, verrate ich Ihnen später.

Jedenfalls: Irgendwer hat dafür gesagt, dass notorische Irrgeher die Fortsetzung des Wegs nach der (ehemaligen?) Gaststätte gar nicht verfehlen können – mit überlebensgroßen grünen Markierungen, die uns zum nächsten Aufstieg weisen und auch eine Abzweigung deutlich kenntlich machen. Der Holzpfeil, der einst so pittoresk nach Kracking wies, liegt immer noch auf dem Boden und ist mittlerweile fast unlesbar, …

… also hat sich jemand die Mühe gemacht, auf der offiziellen (und Gott sei Dank noch alten) Wandertafel die Ortsangabe hinzuzufügen. Anscheinend hat der wohlmeinende Mensch aber geglaubt, er nähert sich einem Dorf der Tintenfische – und das dementsprechend verzeichnet.

Wir es genau weitergeht, entnehmen Sie bitte unserem erwähnten Wanderbuch. Dass der Weg nach Rappoltenkirchen führt, zeigt aber schon die obige Wandertafel. Und abgesehen davon, dass sowieso alle Lokale zwangsgesperrt sind und einem das Essen nur über die Gasse liefern/mitgeben, gibt es das im alten Blogbeitrag erwähnte – damals ganz neue – Dorfgasthaus „Zu den Linden“ in der erwähnten Ortschaft auch nicht mehr. Im Juni dieses Jahres hat es wieder einmal den Besitzer/Pächter gewechselt und heißt jetzt „Dorfgasthaus Ecker“. Es ist sicher gut – wenn der Maßnahmenstaat es nicht schafft, die Gastronomie endgültig zugrunde zu richten, werden wir es vielleicht einmal selbst ausprobieren können.

Der Rest des Wanderwegs ist sonnig, landschaftlich erfreulich, herbstlich … und sehr rutschig. Wir schaffen es trotzdem ohne Blessuren bis zum Endpunkt der Tour und müssen dort eine geschlagene Stunde lang auf den Bus warten. In der Kälte. Ohne Klo in der Nähe. Und das nur wenige Schritte entfernte Gasthaus – hat zu. Sie wissen schon: „Es wird sicher keinen zweiten Lockdown geben.“ (ph)


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