Der Rucksack aus der Hölle

Man soll sich nichts von jungen Leuten ausborgen.
Diesmal pilgern wir ja (fast) richtig. Vier Tage in einem durch, ohne zwischendurch heimzufahren. Und dabei komme ich recht bald – aber halt doch zu spät – zur Erkenntnis, dass die Rucksäcke heutzutage auch nicht mehr das sind, was sie einmal waren. Nämlich praktisch.
Doch beginnen wir lieber mit etwas Erfreulicherem: dem Frühstück im Gästehaus ad vineas in Mautern, wo wir am Ende unserer siebenten Etappe (leider nur für eine Nacht) abgestiegen sind. Wer rechnet damit, schon kurz vor sieben Uhr früh ein solches Büffet vorzufinden? Und weil man vor einer Wanderetappe ja keinesfalls soviel essen kann, wie man angesichts dieser Köstlichkeiten möchte, bietet uns die freundliche Gastgeberin auch noch an, dass wir uns zwei Weckerln für die Jause unterwegs einpacken. Was wir auch tun – und uns dann verabschieden, mit der fixen Absicht, bald einmal wiederzukommen.

Aber nun zurück zur Rucksackfolter: Wie Sie vielleicht nicht wissen, bin ich diesmal mit einem Rucksack unterwegs, der mir vom Sohn des Hauses geborgt wurde. Und dieses Ding quält mich mit jedem Kilometer mehr. Es sitzt nicht richtig, es lässt sich nur schwer an- und ablegen, es drückt da ins Kreuz und steht dort weg … „Das kann man ja alles einstellen“, wird mir von weiblicher Seite beschieden. Dazu sind dann wahrscheinlich die tausenden Schnürln und Bandln, Ösen und Plastikkarabiner, Netze und Seitentaschen da, die den Rucksack so aussehen lassen, als hätte Salvadore Dalí eines Nachts schlecht geträumt und dann gleich Wanderaccessoires entworfen.
Was ist aus den guten alten Rücksäcken geworden, in die man einfach sein Zeug gepackt hat, eventuell mit ein, zwei Seitentaschen für die Wasserflaschen und einem Fach vorne für die dringendsten Notwendigkeiten? Und ohne Bondage-Zubehör für Bergwanderer? Ich will keine schmalen Grate hinaufklettern, um mich dort mit dem eigenen Rucksack ans Gipfelkreuz zu fesseln. Ich will auch keine Halfter, die mich um Hals und Bauch noch mehr einschnüren, als das ohnehin durch diese sportive Ausrüstung schon der Fall ist. („Ja, aber dadurch wird der Rucksack leichter.“ „Danke, ich trage das Gewicht des Rucksacks eben am Rücken, deswegen heißt er ja auch Rucksack.“ „Du bist schon wieder stur.“)
Aber es nützt ja auch nichts, was ich will. Für die nächsten Tage muss ich mit diesem hochmodernen Höllenrucksack zurechtkommen. Dann muss ein neuer her.

Wo war ich? Ach ja, in Mautern, in der Wachau und bereits auf dem Abschnitt Göttweig-Melk des österreichischen Jakobswegs. Wir brechen auf und schauen uns noch ein wenig die schöne Altstadt an …

… besuchen zwecks Stempel die Pfarrkirche, wo das Weihwasserproblem („Um Gotteswillen, man könnt’ sich ja mit irgendwas infiszieren!“) auf hochmoderne Art gelöst wurde, …

… müssen das Römermuseum auslassen, weil es gerade wegen „Neukonzeptionierung“ vorübergehend geschlossen ist, sehen aber noch die Römermauer und die archäologische Ausgrabungsstätte …

… und dann auch schon ein Jakobsweg-Pickerl, das uns an der Straße entlang nach Mauternbach weist.

In dieser Ortschaft wandern wir bis zu einem romantisch angelegten Kriegerdenkmal weiter, vor dem sich ein Baum mit zahlreichen Wegweisern befindet. Einer davon weist zu einer „Toten Frau“, die wir heute lieber nicht treffen wollen; die Zahl „06“ daneben zeigt uns, dass es sich um ein Teilstück des niederösterreichischen Mariazellerwegs handelt, der auch noch begangen gehört. Überhaupt: Auf den Etappen rund um die Wachau stoßen wir immer wieder auch auf Markierungen des Welterbesteigs (bereits gegangen …) und manchmal auch auf „05“-Wandertafeln, die den Nord-Süd-Weitwanderweg bezeichnen und den Autor dieser Zeilen an eine längst verwichene Zeit im vergangenen Jahrtausend erinnern, als er es mit seinem guten Freund Helmuth A. W. Singer auf diesem Weg immerhin vom Nebelstein bis Melk geschafft hat.
Aber zurück zur Gegenwart: Oberhalb der „Toten Frau“ und neben der gelben Markierung sehen wir noch das für uns maßgebliche Schild, nämlich die Jakobsmuschel auf einem Holzpfeil, wie ihn angeblich seinerzeit noch Peter Lindenthal – der Erfinder des österreichischen Jakobswegs – zur Markierung angebracht hat. Es weist uns zuerst in einen Hohlweg, dann zwischen Weinbergen und schließlich am Waldrand recht zügig bergauf.

Die Steigung ist aber nicht unangenehm, wie man an untenstehendem Photo (links) sieht, das auch den blauen Rucksack aus der Hölle zeigt. Rechts sehen wir hingegen einen Maulwurf, dem der Weg anscheinend doch zu steil war …

Wir freuen uns hingegen über Gottes Segen …

… und wandern mit ihm (dem Segen, nicht Gott) auf einem kleinen Abstecher bis zur Ferdinandwarte (die sich nicht entscheiden kann, ob sie lieber als Ferdinand-Warte oder Ferdinandswarte bezeichnet werden will), von der wir einen wunderschönen Blick auf die Donau und in die Wachau haben.

Von nun an herrscht eine Zeitlang (ca. zweieinhalb Stunden) reines Wandervergnügen. Auf gut markierten Wegen geht es durch Wälder, selten auf Asphalt und Schotter, gelegentlich aber auf schmalen Steigen …

… und oft unter einer dichten Wolkendecke, die aber wenigstens die Sonne von uns fernhält. Ab dem roten Kreuz (oben Mitte) begleitet uns auch eine Gruppe Radfahrer auf dem Weg, junge und ältere Herrschaften, die sich manchmal verfahren, manchmal auch länger zsammwarten und sich meistens selber wundern, dass sie uns schon wieder treffen, obwohl wir doch zu Fuß unterwegs sind und sie berädert (aber wenigstens nicht auf E-Bikes).

Beim Schoberstein müssen wir uns dann aber doch über einen der Radler wundern, weil der direkt neben seinen Kameraden und auch gleich neben dem Weg ins Gelände brunzt – anders kann man es wirklich nicht nennen. Wäre es wirklich so mühsam, ein paar Schritte in den Wald zu gehen und dort sein Wasser abzuschlagen? Wunder über Wunder …

Wundersam geht es weiter – damit man sieht, dass man auch auf einem Pilgerweg nicht vor Unbill und allerlei Seltsamkeiten gefeit ist. Nach einem etwas zähen Abstieg kommen wir im Wallfahrtsort Maria Langegg an, der noch lebloser und verlassener aussieht als bei meinen letzten zwei Besuchen (mit denen ich ebenfalls keine besonders guten Erinnerungen verbinde, wenn auch eher aus privaten Gründen). Jedenfalls: Wenn man auf die Kirche und den Klostertrakt daneben zugeht, kommt man an einer Bruchbude vorbei, die außen mit pseudoreligiösen Begriffen beschmiert ist, die aussehen, als hätten sich hier verrückte Sektenangehörige austoben dürfen, bevor man sie wieder weggesperrt hat.
Hier hatten wir eine unangenehme Begegnung mit einem sagenhaft schmierigen Typen, der auf der nach oben offenen Unsympathlerskala zweifellos einen Spitzenplatz einnimmt. Ich will jetzt nicht genauer auf die näheren Umstände eingehen, weil das Zeit- und Platzverschwendung wäre, daher nur soviel: Lassen Sie sich auf keinen Fall darauf ein, in dieser sogenannten Pilgerherberge zu übernachten – da holen Sie sich bestenfalls irgendwelche Krankheiten. Und den Pilgerstempel, mit dem dieser Schmock wirbt, kriegen Sie in der Kirche auch.

Ach ja, die besagte Pfarr- und Wallfahrtskirche: Die ist vor allem deswegen interessant, weil für ihre Dekoration damals anscheinend kein Geld da war, weshalb alle ihre Altäre als Illusionsmalerei (und sehr sehenswert) ausgeführt sind. Ansonsten ist sie halbwegs prächtig – aber kalt und leer. Auch das sogenannte Wallfahrtsmuseum ist ein Witz …

… und die arme Jungfrau Maria in ihrer Lourdesgrotte wirkt recht einsam und verlassen. Von dem, was da im kircheneigenen Shop angeboten wird, wollen wir lieber gar nicht reden … Die Serviten sind seit gut 50 Jahren weg aus Langegg; 1993 wurde das Gebäude der ziemlich obskuren „Gemeinschaft der Seligpreisungen“ überlassen, die aber mittlerweile auch schon wieder abgezogen ist. Ein Blick zurück auf das Gotteshaus weckt in uns das Gefühl, dass der Ort von Gott verlassen ist.
Dafür sind die Radfahrer wieder da, die kurz im Gasthaus eingekehrt sind und sich jetzt die Kirche anschauen wollen. Nur Mut!

Für uns geht es jetzt wieder bergauf, Richtung Aggstein. Auf dem Weg begegnen uns frühlingshafte Naturschönheiten, aber auch eine Umleitung, weil im Wald wie verrückt abgeholzt und gewütet wird. Ist aber nicht schlimm, nur die letzten paar Meter könnten zur Rutschpartie werden.

Als wir die Burgruine Aggstein dann erreichen, zücken wir wieder einmal unsere Niederösterreich-Card und machen uns an die Besichtigung. In der touristisch perfekt ausgebauten Ruine geht es über viele Stufen und Stege auf und ab, der Ausblick ist wunderbar, und ins Rosengärtlein kommt man durch einen Schlupf, der uns (viel zu spät) auf den Gedanken bringt, dass wir unsere Rucksäcke ja eigentlich bei der Kassa abgeben hätten können …

Das Rosengärtlein ist trotzdem sehenswert, so wie die ganze ehemalige Raubritterburg. Man fragt sich jedoch, warum der Gefangene, den sie da hinausgesetzt haben, über relativ modernes Schuhwerk verfügt und außerdem ausschaut wie ein untoter Statist aus einem Zombiefilm.

Für die Fortsetzung des Wegs rät das kluge Wanderbuch, dass man eigentlich auch die Straße, die zum Burgparkplatz hinaufführt, nehmen könnte. Aber nein, wir wollen’s genau wissen und nehmen den mit „Jakobsweg“ markierten Pfad. Der heißt nicht umsonst „Eselsteig“, weil nur ein Esel ihn freiwillig ein zweites Mal gehen würde. Grauslich und ewig steil bergab, rutschig, mit viel lockerem Geröll bedeckt, insgesamt also ein Jammer.
Aber wir sind ja auch nicht zum Vergnügen unterwegs, wie uns das nächste Teilstück demonstriert, wo es wieder ziemlich gach bergauf geht. Mein Wehklagen ist im Tal und auf dem Berge zu hören. Irgendwann gelangen wir dann trotzdem nach Aggsbach Dorf, müssen aber dann noch durch die ganze Ortschaft bis zur Donau hinunterhatschen, weil wir ebendort im Gästehaus Reisinger ein Zimmer reserviert haben. Nicht nur, dass wir höchst freundlich empfangen werden – wir haben noch dazu direkt aus dem Fenster einen herrlichen Blick auf die Donau; da sind nur die Straße und der unsägliche Radweg dazwischen. Schön. Aber zuerst einmal duschen.

Nach der Körperpflege lassen wir den Tag gleich nebenan, auf der Donauterrasse des Hotel Residenz Wachau, ausklingen, nehmen hervorragende Speisen und Getränke zu uns und erfreuen uns am Sonnenuntergang. Und manche von uns photographieren das Essen für „Insta“, wie man das heutzutage so tut …

Zurück im Zimmer genießen wir noch ein paar Blicke auf die abendliche Wachau, bevor uns nach dieser doch recht langen Etappe der Schlaf übermannt.

Hoffentlich träume ich nicht von diesem Rucksack … (ph)

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