Lady Madonna

14. Juni 2025: Wir fliegen frühmorgens von Wien ab und landen eine Stunde später in Bologna, wo wir mit der schon bekannten Seventies-Science-Fiction-Einschienenbahn zum Hauptbahnhof rattern und uns dann zu Fuß zu unserem Quartier in der Via dell’Inferno aufmachen. Wir waren zwar erst vergangenen Herbst da, aber es hat uns in Bologna so gut gefallen (und das Essen war so gut), dass wir gleich noch einmal für eine Woche hierherreisen wollten.
Aber: In Wien war es schon sommerlich warm – hier ist es sauheiß. 35 Grad, sage ich nur. Da ist nach dem Auspacken gleich einmal eine kleine Siesta angesagt, bevor wir uns in die Bar wagen, die auch letztes Mal unser erster Anlaufpunkt war. Man erkennt uns wieder, man serviert uns Aperol Spritz, und der Hund, der diese paar Quadratmeter Schanigarten gütig regiert, kommt sogar manchmal gnädig her und lässt sich streicheln.
Wie sich später zeigt, empfiehlt es sich nicht, aus lauter Wir-sind-wieder-da-Freude und Durst gleich zwei Aperol nacheinander hinunterzustürzen. Zumindest nicht bei solchen Temperaturen …

Nach der gesunden Jause (Alkohol und Chips) betreten wir erst einmal eine der vielen Kirchen und lassen uns von der Architektur, dem Licht und den Heiligenstatuen beeindrucken. Es ist immer wieder deprimierend, dass sich in den meisten dieser durchaus riesigen Gotteshäuser sogar während der Messen kaum Gläubige einfinden, sondern nur Touristen herumspazieren. Eigentlich wie daheim, außer wenn grad Firmung, Erstkommunion oder Seelenmesse ist: je (links-)städtischer, desto weniger katholisch. Umso bewundernswerter, dass die Geistlichen, Messdiener und das restliche klerikale Personal ihr christliches Programm trotzdem durchziehen … die Überzeugung, dass die Leute schon wieder kommen werden, gehört nämlich auch zu ihrem Glauben.
Apropos: Glauben Sie mir, dass das erste Achtel Rotwein zum frühen Abendessen nach den Aperols vom Nachmittag keine gute Idee ist. Schweißausbruch. Mein Kreislauf gibt deutliche Signale, dass er sich demnächst verabschieden wird. Ich muss aufstehen, die geliebte Gattin mit ihrem Bologneser Schnitzel im Restaurant sitzenlassen und zurück in unser Apartment eilen, um mich aus der Panier zu schälen und hinzulegen, um nicht im Gastgarten zu kollabieren. Das war knapp. Ab jetzt ist Vernunft angesagt – so weit ich die halt beherrsche.

Leicht ist es ja nicht, vernünftig zu bleiben. Unsere Airbnb-Kleinwohnung hat zwar eine Klimaanlage, aber die befindet sich direkt über dem Bett. Und wenn in der Nacht die kalte Luft von oben auf die verschwitzten Körper trifft, spürt man richtig, wie man sich verkühlt. Also abdrehen. Die Fenster können wir aber auch nicht richtig aufmachen, weil draußen Tauben nisten und hineinwollen. Daher quälen wir uns praktisch nicht zugedeckt bei 28 Grad schweißgebadet durch die Nacht und sind vor sechs Uhr wach.
Was gibt es da Besseres, als gleich um diese Uhrzeit (nach einem kleinen Kaffee) aufzubrechen und durch die Arkaden, Gassen und über die menschenleeren Plätze der Stadt zu marschieren – auf dem Weg zur Madonna di San Luca, der „allerseligsten Jungfrau vom heiligen Lukas“?

Das Sanctuario, also die Kirche der heiligen Maria, liegt auf einem Hügel, den man nach einem Innenstadtspaziergang zur Porta Saragozza durch einen Arkadengang mit 666 Bögen (ja, das Böse wird dann oben besiegt, das wissen Leser unseres Blogs schon …) erreicht. Würde ich in Bologna wohnen, dann würde ich diesen Pilgergang täglich machen, schon aus Gründen der körperlichen Ertüchtigung. Als Urlauber haben wir uns vorgenommen, ihn möglichst oft zu absolvieren. Nach dem Eingang bei der Porta Saragozza und dem Bogen Nr. 1 geht’s eine Zeitlang geradeaus dahin …

… bis wir beim imposanten Arco del Meloncello (wo sich ein Sandler häuslich niedergelassen hat und die Kunst beherrscht, angelehnt im Stehen zu schlafen und zu stinken) die Straße überqueren …

… und von nun an aufwärts streben, bis zum Kreuz, das Pilger kurz vor den letzten paar Stufen zur Kirche erwartet.

Im Santuario della Madonna di San Luca, einer wunderschönen Kirche, kann man nicht nur ein Bild der Gottesmutter bewundern, das dem Evangelisten Lukas zugeschrieben wird, sondern auch im von Nonnen betreuten Shop Rosenkränze, Devotionalien und allerlei christlichen (und nicht immer geschmackssicheren) Kitsch erwerben. Wir gehen dort nie mit leeren Händen raus.

In der Kirche finden sich auch drei Pilgerstempel, einer davon für die Via degli Dei, einen Pilgerweg, der in Bologna beim Bahnhof beginnt und über San Luca und insgesamt 130 Kilometer nach Florenz führt. Wie wir heute und an den kommenden Tagen sehen, wird dieser Weg um die Jahreszeit viel und gern begangen. (Er steht auch bei uns auf dem Programm.) Wir erholen uns noch kurz unterhalb der Kirche …

… bevor es durch den Bogengang wieder bergab in die Stadt geht. Und dann, nach einem morgendlichen Marsch von ca. zehn Kilometer Länge, ist es Zeit für ein Frühstück. Capuccino e cornetto. Das Gabelfrühstück fällt dann ähnlich aus wie gestern, nur mit weniger Aperol und mehr Kaffee.

Natürlich versäumen wir es auch nicht, die Basilica Santo Stefano wieder zu besuchen, wo man nahe der Nachbildung der Grabeskirche nur die unten gezeigte Säule zu berühren braucht, um ein paar Jahre Sünden vergeben zu bekommen. Wir greifen gleich ein paarmal hin …

… und werden dafür mit diesem wunderbaren Ausblick aus einem der Kirchenfenster belohnt.

Nächster Tag, leichter Dunst …

… wieder Aufstieg nach San Luca, diesmal – weil Wochentag – im fast menschenleeren Bogengang, um oben ein paar Lichter für unsere Lieben anzuzünden.

Dann angelegentliche Begehung der Altstadt: die Via dell’ Inferno mit ihrem Schutzheiligen, ein besonders schönes Blumengeschäft und Süßwaren, deren Reiz man sich gar nicht entziehen möchte, …

… gefolgt von einem neuerlichen Besuch der Kirche Santa Maria dell Vita, um einige Zeit in der Betrachtung der unglaublichen Skulpturengruppe „Die Beweinung Christi“ von Niccolò dell’Arca zu versinken.

Auf dem Photo unten sehen Sie mich von hinten – sähen Sie mich von vorne, dann würden Sie als sensibler Beobachter wahrscheinlich bemerken, dass ich Tränen in den Augen habe. Bei der Ausdruckskraft dieser Figuren kann man gar nicht anders.

An einem der nächsten Tage machen wir uns dann (nach dem pflichtgemäßen San-Luca-Aufstieg) auf den Weg zum Cimitero Monumentale la Certosa, diesem unglaublichen Friedhof, in dem man stundenlang unterwegs sein kann und immer neue Photomotive entdeckt.

Ich möchte hier besonders auf die kopflose Trauernde (unten links), die schlechtgelaunteste (schlechtestgelaunte?) Grabskulptur der Welt (unten rechts), …

… das Dämonenkind (unten links) und die unwahrscheinlich schöne und passend benannte Frauengestalt „La Desolazione“ (zu deutsch: tiefe Betrübtheit, Trostlosigkeit) des Bildhauers Vincenzo Vela (unten rechts) verweisen.

Dass man vom Friedhof auch noch diesen wettermäßig leicht getrübten Ausblick auf San Luca und den oft begangenen Portiko-Aufgang hat, macht diesen Ausflug vor allem für uns zu etwas ganz Besonderem, …

… sodass wir nachher guten Gewissens und im Gefühl, etwas erlebt zu haben, einen gepflegten Imbiss zu uns nehmen. (ph)

zum zweiten Teil


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