Es wird Zeit, sich von einem Klischee zu verabschieden, nämlich: „Der Weg ist das Ziel.“
Was für ein langweiliger und viel zu oft verwendeter Satz! Er mag zwar einmal etwas annähernd Tiefsinniges bedeutet haben, aber mittlerweile ist er weder weise noch originell, sondern ungefähr auf dem Niveau von „Man gönnt sich ja sonst nichts“, wenn man einmal ein Glas Schaumwein statt dem üblichen Bier getrunken hat. Auch als Pilger sollte man sich derart abgedroschene Banalitäten nicht mehr um die Ohren schlagen lassen, sondern lieber eine eigene Wanderphilosophie entwickeln. Oder schweigen.
Man kann sich aber auch einfach an die Tatsachen halten: Der Weg ist der Weg. Und das Ziel ist das Ziel. Ganz einfach, oder? Und unser Ziel heißt heute Herzogenburg. Der Weg dorthin – wenn er nicht gerade weg ist – soll 29 Kilometer lang sein.
Daher brechen wir nach dem köstlichen Frühstück in der Selbstversorgerhütte in Siegersdorf (siehe Etappe 5) auch gleich auf, überqueren auf einer Holzbrücke die Große Tulln und sehen schon den ersten Jakobsweg-Hinweis.


Wir gehen durch die Ortschaft Asperhofen und steigen dann durch ein Parkgelände zum ersten Teilziel des Tages (Sehen Sie? Kein „Teilweg“, sondern ein Teilziel …) auf: der Wilhelm-Kisser-Jubiläumswarte, von deren Plattform wir den Ausblick genießen.


Dann geht es zwischen Feldern weiter in den Wald, wo wir bald zur Kreuzung mit der „Bildeiche“ sowie einer Wandertafel mit Pilgerstempel gelangen.


Auf herrlichen Waldwegen …


… stoßen wir schließlich auf eine Stelle, wo der Weg weg ist; das heißt, in Wahrheit gibt es zwei Wege, einer links talwärts, der andere halbrechts am Waldrand bleibend. An dieser Stelle gab es einst auch ein Wanderschild, wie man noch deutlich erkennen kann, aber das muss irgendeine natürliche oder menschliche Katastrophe beseitigt haben. Wir halten uns also am Waldrand, merken irgendwann, dass der eigentliche Weg unterhalb verläuft, aber der ist ohnehin asphaltiert und in der prallen Sonne, und wir kommen auch so nach Würmla, wenn auch bei einer Kreuzung, von der aus wir über die Straße ein paar hundert Meter zur Kirche hinuntergehen müssen.

Würmla. Den originellen Namen hat man zwar schon gehört, aber wohl nie gedacht, dass man je durch diese kleine Marktgemeinde kommen wird. So geht es uns mit vielen Ortschaften, die wir im Zuge dieser – und nicht nur dieser – Etappe durchqueren. Es sind manchmal liebliche, manchmal eher unpersönlich gehaltene Dörfer, die wir vielleicht nie mehr im Leben sehen werden und umso lieber betrachten. Aber zurück zur Kirche von Würmla: Da Sonntagvormittag ist, schaue ich vorsichtig bei einer Seitentür hinein, woraufhin mir sofort ein paar schockierte Gesichter entgegenstarren. Das Haus ist voll, die Sonntagsmesse gut besucht. Auch beim Haupttor müssen wir erkennen, dass da kein Mensch mehr hineinpasst, also setzen wir uns auf eine Bank mit Blick auf Seiteneingang und Rollator, um die mitgebrachte Jause zu verzehren und ein paar Schluck Wasser zu trinken. Am Ende unseres Gabelfrühstücks hören wir die Blasmusik immer näherkommen (Zitat des Erzählers: „Vor sowas fürcht’ i mi …“). Bevor die anrücken, sind wir aber schon wieder weg, gehen zur Kreuzung von vorher hinauf und über ruhige, schmale Straßen weiter.


Nach Unterquerung der Westbahn erreichen wir Diendorf mit seiner kleinen, leider versperrten Kapelle, einer Pilgerrast mit Trinkwasserspender und einem Hofladen. (Was ist nur aus dem schönen Wort „Geschäft“ geworden?) Solche kleinen Selbstbedienungsgeschäfte – na bitte, geht doch – treffen wir immer wieder auf unserem Weg an, freuen uns darüber und kaufen auch gern eine Kleinigkeit. Da wir gerade gefrühstückt und unsere Wasserflaschen aufgefüllt haben, bleibt es diesmal bei einem Schokoriegel.
Bevor wir Diendorf wieder verlassen, kommen wir mit einem freundlichen jungen Mann ins Gespräch, der uns kurz zuvor schon als Kinderwagenjogger begegnet ist. Er erzählt uns, dass er seine Urlaube jedes Jahr dafür verwendet, Pilgerwege zu gehen, unter anderem den klassischen Jakobsweg, und empfiehlt uns ein paar interessante Routen.



Der Weg setzt sich lange und geradlinig neben einem Hochwasserkanal fort (auf solchen Geraden, die sonst nicht viel zu bieten haben, macht man Meter, wie meine Gattin gern sagt), bevor wir in eine weitere Asphaltstraße einbiegen und auf selbiger Langmannersdorf betreten. Auch hier eine nette kleine Kirche, ein Herr Jesus, der auf einem Schild „Schön, dass du da bist“ zu uns sagt, interessierte Bewohner und nur ein paar Minuten Gehzeit, bevor uns ein asphaltierter Feldweg wieder leicht bergan führt.



So kommen wir zu einer Kreuzung, wo nicht nur eines der vielen Marterln steht, an denen Jakobsweg-Pilger ein kurzes Gebet sprechen können, sondern auch ein Wegweiser angebracht ist, der auf das endgültige Ziel dieser langen Wanderung weist. Wir sehen: Das Ziel ist das Ziel. Der Weg verläuft gleich nebenan.

Windzerzaust geht es über Feldwege weiter, …

… wieder in den Wald, wo der Geruch blühender Bäume botanische Diskussionen zwischen uns auslöst, zu einem Jakobus-Bildbaum …


… und schließlich zum Mittelpunkt Niederösterreichs, der wesentlich unspektakulärer ist, als wir uns das vorgestellt haben (obwohl …), aber wenigstens ein Mobilklo zur Verfügung stellt.



Und dann – was soll ich Ihnen erzählen? Feldwege, Abzweigungen, wieder Feldwege, ein Schotterweg, eine Kellergasse, eine Ortschaft, kurz am Straßenrand, wieder Feldwege und schließlich der Ort St. Andrä an der Traisen. Die Annäherung an Herzogenburg kommt uns schier endlos vor. Die Füße tun weh, es ist heiß – umso mehr freuen wir uns, dass es am Rand eines Neubaukomplexes wieder ein Selbstbedienungsgeschäft gibt. Speck und Eier wären zwar günstig, aber die werden wir wohl nicht unbeschadet nach Hause bringen, also gönnen wir uns jeder ein Schauppi-Eis, das köstlich schmeckt und das wir in Wien wohl nie kriegen werden.


Kurz darauf machen wir einen Abstecher zur Pfarrkirche hl. Andreas von St. Andrä, die das Gotteshaus eines ehemaligen Augustiner-Chorherrenstifts und damit eines heute noch wohlhabenden Ordens war. Beim Eintritt wird’s fast schon unhöflich autoritär, dafür ist es drinnen ziemlich leer. Aber auch hier gibt es, wie in den meisten Kirchen am Weg, schöne Anblicke, die sich dazu eignen, von der begabten Photographin bildgewaltig festgehalten zu werden.



Ehrlich gesagt: Der Rest dieser Etappe zieht sich furchtbar und ist auch nicht sonderlich attraktiv, da er viel zu lange Zeit an der Kremser Schnellstraße S33 entlangführt – und dann durch halb Herzogenburg, wo wir vor dem Eingang des prachtvollen Augustiner-Chorherrenstifts ankommen und die letzte Führung des Tages verpasst haben.


Dafür erfreuen wir uns an einem „Werbeplakat“ vor dem Portal, weil der Text von beeindruckender Intelligenz ist, die der Großteil des weltlichen Inseratenunwesens heute schmerzlich vermissen lässt. Hier hält sich niemand mit Banalitäten wie „Der Weg ist das Ziel“ auf …
Und wir halten uns auch nicht auf, sondern eilen quer durch das Stift und die andere Hälfte der Stadt zum Bahnhof, um den Zug nach St. Pölten und zurück in den Alltag zu erwischen. (ph)
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