Viral gehen

Geplant war ja alles ganz anders.
In Wirklichkeit wollten wir schon Mitte Juli wieder ein paar Tage auf dem Jakobsweg weiterwandern, aber da kam die Kehlkopfentzündung, die sich die werte Gattin am vorletzten Tag unseres Bologna-Urlaubs zugezogen hatte, dazwischen. Der Facharzt war der Ansicht, dass die Gefahr einer viralen Infektion bestehe und es daher anzuraten sei, keine allzu größeren Anstrengungen zu unternehmen, weil das aufs Herz gehen könne. Als der Befund dann kam, war doch kein Virus zu sehen, aber da war es bereits zu spät, weil alle Quartiere storniert und familiäre Aufgaben zu erfüllen waren. Nur eine bereits bezahlte Übernachtung konnten wir nicht mehr absagen, also beschlossen wir, diese eine Etappe zu gehen und den Rest der Pilgerreise zu verschieben (unglücklicherweise mitten in den August – aber dazu später mehr).

So reisten wir also mit Bahn und Bus Samstag in der Früh nach Maria Taferl, wo wir noch vor neun Uhr ankamen und sofort die mechanische Krippe besichtigen mussten, die wir letztes Mal nur aus dem Augenwinkel gesehen hatten. Sie ist ein wunderbares Kunstwerk, das gegen Ende des 19. Jahrhunderts geschaffen wurde und die Geschichte des Wallfahrtsorts zeigt, mit all den Mythen, die sich um die Gründung der Kirche ranken, verbunden mit dem Leben der örtlichen Bevölkerung.

Da sägt ein Holzfäller an einem kreuzgeschmückten Baum (was ihm nicht gut bekommt), animierte Arbeiter decken das Dach der Kirche, man kann von der Seite einen Blick ins Räderwerk werfen – siehe oben rechts – und sich darüber freuen, dass der alte Matador-Werbespruch hier Wirklichkeit geworden ist: „Alles dreht sich, alles bewegt sich.“

Engerln fliegen durch die Landschaft oder auch durch die Krippe über dem Jesuskind, an dem in regelmäßigen Abständen auch die heiligen drei Könige vorbeifahren, Tiere bevölkern das künstliche Szenario … kurz und gut: Es ist eine Freude und kostet nichts außer eventuell eine freiwillige Spende.

Das gilt übrigens auch für das mechanische Alpenpanorama im Haus daneben, dem Gasthof „Zum Goldenen Löwen“. Hier kommt sogar der Wirt aus der Gaststube heraus und schlängelt sich in den Raum hinter der wunderbaren Attraktion, um alles einzuschalten und einige der Figuren, Züge und sonstigen beweglichen Elemente selbst zu betreiben. Ein wunderbarer Beginn dieses Wandertags – zumal wir eh noch nicht in die Basilika hineinkönnen, weil da drin gerade eine Messe stattfindet.

Also werfen wir noch einen Blick auf die Donau hinunter, wo Wolken und Nebel schnell dem viel zu blauen Himmel weichen, trinken einen Kaffee in der Konditorei neben der Aussichtsplattform (die Gattin schafft es, sich um diese Uhrzeit eine zugegebenermaßen köstliche Mohn-Birnen-Torte hineinzuschrauben), erwerben in den Standln ein paar Souvenirs (ich könnte mir Unmengen Sakralkitsch kaufen … und tue das erschreckenderweise auch), sehen uns die Kirche von außen an …

… und betreten sie dann, um sie und ihr Adulationsobjekt von innen zu bewundern.

Die Anzahl der Beichtstühle weist auf einen gesteigerten Geständnisbedarf bei der örtlichen Bevölkerung hin.

Eine Stiege führt über mehrere Etagen an Marienbildern vorbei, die von Gläubigen gestiftet wurden, zum Dank für die Heilung von Krankheiten, die Erfüllung von Fürbitten und so weiter. Wir können uns kaum sattsehen und bewundern die verschiedenen Darstellungen der Himmelmutter und des Heilands …

Als wir wieder in den Kircheneingang zurückgekehrt sind, sehen wir dann untenstehendes Deckengemälde mit seltsamen Kapuzenmännern. Was der Typ rechts im Bild da tut, möchte ich gar nicht so genau wissen …

Nun gut. Wir besichtigen auch die Schatzkammer der Wallfahrtskirche, in der die schönsten und interessantesten Spenden gläubiger Christen aus aller Welt ausgestellt sind – doch dann ruft der Weg.

Und der führt auf angenehmste Weise durch den Wald bergab – so angenehm, dass man sich fragt, warum der eigentlich „Bußweg“ heißt, weil man da auch bergauf nicht allzuviel büßen müsste –, quert zweimal die Straße und setzt sich dann in ein paar Gassen der Ortschaft Marbach bis zum Donauufer hinunter fort. Dortselbst kommt Katharina drauf, dass das böse Gestirn gnadenlos vom Himmel herunterbrennt, der bevorstehende Wegabschnitt am Donauufer keinen Schatten bieten wird und sie ihre Kopfbedeckung vergessen hat. Wir suchen also den örtlichen ADEG auf, finden nix (ich schlage schon ein Plastikschaffel als Not-Hut vor), doch da … plötzlich … überraschend … wartet gleich neben dem Ausgang ein kostengünstiger Strohhut.
Der Jakobsweg sorgt schon für seine Pilger; das erinnert mich daran, wie mir der liebe Gott bei einer Wanderung nach Mariazell, wo ich ohne Kopfbedeckung unterwegs war, gleich ZWEIMAL ein Kapperl auf den Weg gelegt hat, bis ich endlich eingesehen habe, dass sogar die schlimmste Mütze besser ist als ein Sonnenstich.

Wir befinden uns also nun auf dem Sonntagbergweg, der über viele Kilometer gleich mit dem Jakobsweg verläuft. Ein Ehepaar spricht uns an und fragt, ob wir Jakobsweg-Pilger sind. (Ich schaue ja nicht auf den ersten Blick so aus, aber die geschätzte Gattin erweckt einen frommen Eindruck …) Als wir bejahen, erzählt uns der Herr, dass er in der Zeit, als er noch gearbeitet hat („oder a ned goaweit hob …“) mit Freunden den Jakobsweg bis Santiago geradelt sei, „auf unseren Wamperlbikes“, immer wieder eine Woche, bis zum Ziel. Bisher haben wir auf dem Pilgerweg nur freundliche Leute getroffen.

Der Weg an der Donau ist, was er ist (heiß, sonnig, schnurgerade und nur schwer endenwollend), aber wenigstens wissen sich die meisten Radfahrer zu benehmen wie normale Menschen, was ja auch schon eine Seltenheit ist. Und immer wieder bieten sich schöne Blicke zurück auf Maria Taferl.

Bei Gottsdorf führt die Route dann von der Donau weg, damit man sich eine Flussschleife erspart. An der Abzweigung befindet sich die Pfarrkirche St. Peter und Paul, die wir leider nicht besichtigen können. (Viel zu viele Kirchen sind sogar am Jakobsweg zugesperrt, was schade ist und gleichzeitig bezeichnend für den Zustand unserer Gesellschaft …) Wir marschieren durch langweilige Neusiedlungsgebiete und zwischen Einfamilienhöllen durch, bis wir zur modernen Pfarrkirche Persenbeug gelangen. Links oben sehen Sie den Turm, der anscheinend von der Kraftwerksarchitektur inspiriert ist. Als wir das Gotteshaus betreten, stellen wir aber (siehe unten) fest, dass es innen eigentlich eh ganz schön ist. Und einen Stempel finden wir darin auch wieder, übrigens den ersten und einzigen dieser Etappe.

Weiter geht es durch die Ortschaft Persenbeug und am Schloss vorbei über die laaange Kraftwerksbrücke zum Besucherkraftwerk. Wir sind zu früh dran für die gebuchte Führung (der verhasste „Timeslot“ setzt sich überall durch), also setzen wir uns in den Schanigarten eines Imbisslokals und tanken Flüssigkeit nach.

Das Warten hat sich aber ausgezahlt: Die Führung durch das Donaukraftwerk Ybbs-Persenbeug („Erleben Sie Stromerzeugung hautnah!“) ist hochinteressant. Man kommt zum Beispiel in ein Fifties/Sixties-Nostalgiezimmer (in dem hängt auch das reizende Bild mit den Kätzlein, das von unserer Homepage zu diesem Beitrag führt), das veranschaulichen soll, dass der Durchschnittsbürger vor ein paar Jahrzehnten ungefähr eine Million mal weniger Energie verbraucht hat als heute. Dann sieht man eine Steuerzentrale, die wirkt, als wäre sie einem Film der besten James-Bond-Ära entsprungen – und völlig menschenleer ist. (Man stelle sich vor: Dort haben täglich Leute gearbeitet, die den Kraftwerksbetrieb lenkten und überwachten, bis ihnen vor ein paar Jahren irgendein Direktor sagte: „Tut mir leid, Burschen, ab jetzt brauchen wir nur mehr ein paar von euch, und das auch nur, wenn Hochwasser ist; der Rest wird über Computer zentral vom Kraftwerk Freudenau gesteuert. Ihr könnt’s euch ja bei der Gewerkschaft beschweren, wenn’s wollt’s.“) ((Also, ich stelle mir das so vor …)) Jedenfalls: Da Wochenende ist, sind auch die Gänge und Hallen des Kraftwerks leer, sodass man sich umso mehr fühlt wie in einer Folge der ersten „Raumschiff Enterprise“-Serie, wenn Captain Kirk und Mister Spock ein fremdes Raumschiff erforschen.

Na, wurscht. Unser Führer durch diese Einrichtung heißt Friedrich Buchberger, war lange Zeit Bürgermeister von Persenbeug und ist mittlerweile bei einem Verein, der diese Kraftwerksbesichtigungen betreibt. Er ist ungeheuer fachkundig, sehr witzig und heutzutage – wie klein die Pilgerwelt doch ist! – für die Pfarrkirche Persenbeug verantwortlich, wo wir uns vorher den Stempel geholt haben. Am Schluss der Führung reist Herr Buchberger mit der ganzen Gruppe noch einmal auf die andere Seite der Donau, damit wir uns die Schleusenanlagen anschauen können; dann haben wir sogar noch Gelegenheit, die Durchfahrt eines Passagierschiffs zu betrachten. Zur Verabschiedung schenkt er meiner Frau und mir noch je eine kleine geweihte Medaille (siehe unten), weil wir so tiefgläubig ausschauen. (Sag’ ich ja …)

Wir bedanken uns auf diesem Weg noch einmal ganz herzlich bei Herrn Buchberger für den gelungenen und informativen Nachmittag – und freuen uns wieder einmal darüber, dass auf dem Jakobsweg alles so funktioniert, wie es funktionieren soll.

Nach einer weiteren Hitzehatscherei über die Brücke beziehen wir unser vorbestelltes Zimmer im vollautomatischen Hotel „Wohnen beim Bäcker“, duschen und rasten ein bissl, ziehen was Anständiges an und machen uns dann auf den Weg entlang der Donau nach Ybbs. Dort geraten wir erneut ins Staunen: Das Städtchen ist an einem Samstagabend so menschenleer wie die Hallen des Kraftwerks, meistens sind wir die einzigen, die in den Gassen unterwegs sind. Wir finden dann aber doch noch ein nettes Lokal, in dessen Innenhof wir hervorragend speisen können …

… und treten danach den Rückweg zu unserer Unterkunft an, wobei uns von der anderen Donauseite ein beleuchtetes Kreuz den Weg weist, was wir besonders schön finden.

Am nächsten Tag packen wir unsere sieben Zwetschken in die diesmal kleinen Rucksäcke, spazieren durch die seelenlosen Gänge des Robomotels, nehmen das – gar nicht so aufregende – Frühstück in der Bäckereifiliale des Hauses (ja, die mit dem Riesensalzstangerl über dem Eingang!) zu uns und beenden damit offiziell diese Etappe.

Aber vorher heißt es noch zu Fuß nach Ybbs und von dort zum Bahnhof Ybbs kommen, der weitere zwei bis drei Kilometer vom Stadtzentrum entfernt ist. Der Weg führt durch schrecklich ödes Gewerbe- und Industriegebiet und ist – trotz Markierung – so, dass man ihn bitteschön nicht noch einmal gehen will. Für die nächste Etappe nehmen wir uns ein Taxi, die uns zur Fortsetzung des Jakobswegs beim Kraftwerk bringt. Aber das ist eine andere Geschichte, die Sie in der kommenden Folge lesen können … (ph)

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