Irgendwann werden wir dem Wind noch dankbar sein.
Aber das liegt Tage und Wochen in der Zukunft – wenn die Sonne unbarmherzig vom wolkenlosen Himmel gleißen und die Temperatur sich zur Unerträglichkeit aufschwingen wird, wenn alle blöden Polit-Wetter-Apps „Hitzewarnungen“ geben und Männer sich in kurzen Hosen zeigen werden. Noch ist es nicht soweit. Noch sehnen wir uns nicht nach dem leisesten Lüftchen, sondern der Wind geht uns auf die Nerven.
Ja, wenn er wenigstens von hinten käme und uns beim Wandern unterstützte … aber das ist anscheinend so ähnlich wie mit dem Brot, das immer auf die Butterseite fällt. Und diese Etappe ist immerhin schon die dritte, bei der uns dauernd ein recht starker Wind ins Gesicht bläst.
Das fängt schon an, als wir vormittags mit dem Zug nach St. Pölten fahren, dort in eine herrlich altmodische Lokalbahngarnitur um- und wenige Minuten später in Herzogenburg aussteigen.



Dort gehen wir den Weg, den wir bei der vorigen Etappe so eilig beschritten haben, in umgekehrter Richtung – vom Bahnhof zum Stift Herzogenburg – wieder zurück, aber diesmal in einem etwas gemütlicheren Tempo. An der Stiftskassa erfahren wir, dass die Führung eineinhalb Stunden dauern wird, also viel zu lang, wenn wir am Beginn unserer Viertagestour noch vernünftig wegkommen wollen.
Wir beschließen also, gleich loszugehen, schützen unsere Rücksäcke und Köpfe vor dem bissl Nieselregen und machen uns auf den Weg zum Stiftsweingut …

… und von dort weiter durch die Weinberge, die uns landschaftlich schon auf die Wachau vorbereiten. Der Regen hört bald auf, der Gegenwind bleibt.


Über Feldwege kommen wir nach etwas mehr als einer Stunde in die Ortschaft Walpersdorf, wo uns das gleichnamige Schloss erwartet. Das heißt, „erwartet“ ist etwas zuviel gesagt, weil es sowieso zu ist. Es gehört der Luxuseinrichtungsfirma Lederleitner, die hier ihre Verkaufsräume hat – eine einsame Bastion in der Ikea-Wüste, in die sich die halbe westliche Welt mittlerweile verwandelt hat.

Schön ist es, das Schloss. Und es beherbergt zudem ein Luxusrestaurant, das auch nicht offen hat, und wahrscheinlich auch nicht auf verschwitzte Wandersleut’ wartet. Aber dahinter, wo der Weg weitergeht … da findet sich ein wunderschöner Platz namens „Am Ponygarten“, wo ich sofort hinziehen würde, wenn ich nicht schon einmal am Land gewohnt hätte. (Da fällt mir übrigens der blöde Spruch „Das Leben ist kein Ponyhof“ ein, bei dem ich mich jedesmal fragen muss, wer denn eigentlich behauptet hat, dass es das sei – oder wahlweise auch ein Kindergeburtstag. Und warum die Leute alle blöden Sprüche aus den Medien nachplappern müssen …)


Da das Leben auch kein Ponygarten ist, zumindest für die meisten Leute, marschieren wir weiter, an einem Marterl vorbei, wo auch nicht mehr alles so ist, wie es sein soll …

… und dann hügelauf, hügelab durch eine idyllische Feld- und Wiesenlandschaft auf die Wallfahrtskirche Maria Ellend zu. Ich weiß, den Namen hatten wir schon einmal, aber die beiden Schauplätze haben nichts miteinander zu tun.

Es ist ein nettes kleines Kirchlein, das man nur ein Stück hinter dem Eingang betreten kann, bevor es für Besucher (auch für Pilger) gesperrt ist, das jedoch poetische Anblicke bietet.


Später, bei Paudorf, sehen wir (weil man als Wanderer so einiges zu sehen bekommt) einen verirrten Igel in einer Kellergasse (der sich über uns genauso wundert wie wir über ihn) und das „Umgehende Kreuz“, das der Legende nach nächtens herumgeistern soll.


Ach ja, und natürlich das Stift Göttweig, das stolz auf seinem Berg thront und uns schon seit Maria Ellend mit seinem Anblick lockt. Und gerade, weil man es gar nicht verfehlen kann, macht es uns den Weg zu ihm besonders schwer. Einmal ist die zu einem schmalen Waldweg neben der öden, überhitzten Landstraße führende Markierung nicht auf Anhieb, sondern erst nach längerem Suchen sichtbar (= Umweg) …

… ein anderes Mal, und zwar gleich danach, versagen alle Wanderführer, weil dort offenbar eine Straßenkreuzung neu gebaut wurde und statt keinem Jakobsweg-Wegweiser nun gar kein Jakobsweg-Wegweiser dort zu sehen ist. Sonst schon überall, bitte sehr, aber dort, wo man ihn brauchen täte, lieber nicht. Pilgern soll ja kein Vergnügen sein. Der schmale Weg, der neben der Straße am Waldrand entlangführt, könnte einmal ein Wanderweg gewesen sein, ist jetzt aber eine Downhill-Syndrom-Strecke für diese unsäglichen Mountainbiker. Und die Gattin weiß noch, dass irgendwo im Internet ein Tip gestanden ist, wie man sich unter diesen neuen Umständen am Gescheitesten orientieren soll, aber so schnell findet man „irgendwo im Internet“ jetzt auch nicht, also gehen wir am Straßenrand zum Stift hinauf. Weil: Man kann es ja nicht verfehlen.



Wir schauen uns gleich einmal die Stiftskirche in dieser ebenso gewaltigen wie beeindruckenden Anlage an und nützen dann unsere Niederösterreich-Card, um angelegentlich das für Besucher zugängliche Innenleben des Stifts und die sehr sehenswerte Sonderausstellung über Heiligenverehrung in Göttweig zu betrachten.

Der heilige Erasmus hat, wie man auf einem der untenstehenden Bilder sieht, als Märtyrer schon etwas sehr Grausliches mitgemacht: Man hat ihn entdärmt, das heißt, seinen Darm aus ihm herausgezogen und auf einem Spieß aufgewickelt. Pfui, auweh, jössas! Umso erstaunlicher ist, dass er ein paar Bilder weiter neben anderen Heiligen sitzt und recht gut gelaunt seine Därme samt Spieß in der Hand hält …


Der Ausblick vom Stift ins Tal ist berauschend, der vom Stiftsparkplatz nach Aigen hinabführende Pfad („Jakobsweg Göttweig-Melk“) hingegen weniger.

Er ist steil, steinig, ausgewaschen und – wie man in Wien sagt – „roglert“, d. h. man muss, als wäre das Bergabgehen für die Beine und Füße nicht schon anstrengend genug, dauernd aufpassen, dass man sich nicht derstesst. Wenn ich bedenke, daß ich vor ca. 15 Jahren diesen Weg einmal hinaufgehatscht bin, wird mir ganz schwummerlich zumute.


Der Blick zurück ohne Zorn überzeugt uns dann aber davon, dass es doch sehr schön war und uns sehr gefreut hat. Auf- und Abstieg haben sich gelohnt. Und außerdem geht es eh gleich wieder ein Stück bergauf und dann durch Hohlwege im Löss weiter, wo viele Bienenfresser und Neuntöter herumschwirren. Diese Vögel haben nicht nur bezaubernde Namen, sondern sind auch ein herrlicher Anblick.

Zwischen Weingärten halten wir auf dem letzten Stück auf die Wachau zu, um schließlich angenehm erschöpft, aber zufrieden in Mautern einzutreffen, wo wir ein herrliches Zimmer im Gästehaus ad vineas reserviert haben und dort gleich einmal den Schweiß der Strapaze von uns abduschen.

Pilgern ist schön und gut, aber deswegen muss man sich ja nicht gleich in Sack und Asche hüllen. Oder in irgendwelchen kargen Räumlichkeiten mit Stockbetten schlafen. Man kann, aber man muss nicht. Also genießen wir den Luxus und die Gastfreundlichkeit, die uns hier geboten werden …


… und kehren dann noch in der Weinstube Nikolaihof ein, um dort im Innenhof hervorragend zu Abend zu speisen – und dabei möglichst wenig ans Entdärmen zu denken. (ph)
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