Abgestempelt

Ab jetzt wird alles anders.

Bisher hinke ich ja auf dem österreichischen Jakobsweg immer hinterher – wobei das mit dem „Hinken“ angesichts meiner bedienten Füße in diesem Fall durchaus wörtlich zu verstehen ist.
Meine geschätzte Gattin Katharina, die Initiatorin unseres Groß-Wanderprojekts, hat die ersten vier Etappen schon vor mir absolviert, aus diesem und jenem Grund (unter anderem der plötzlich so heftigen Sonnenattacke, aber auch meiner Sturheit). Sie war, wie Sie dem obigen Photo entnehmen können, auch am Sonntag früh schon am Stephansplatz …

… und hat dem Dom wieder einmal hervorragende Motive entlocken können. Ich aber, der Nachzügler, folge ein paar Tage später, unter der Woche, kaum errötend ihren Spuren, werfe noch einmal einen Blick auf die Touristenschwemme in der Kirche und besuche anschließend die Pfarrkanzlei, wo mir eine äußerst nette und hilfsbereite Dame endlich unsere Stempel gibt. („Wir haben zwar keinen Jakobsweg-, aber einen sehr schönen Stephansdomstempel.“ Und der ist wirklich schön.)

Und jetzt kann alles anders werden. Mit dem Ende der heutigen Etappe werde ich endlich aufgeholt haben, sodass wir von nun an wieder gemeinsam wandern können. Und das endlose Flachland haben wir dann auch hinter uns …

Der Weg ist auch ab hier gut markiert und führt über den Graben zur Peterskirche – wobei ich zu meiner Schande gestehen muss, dass ich dieses beeindruckende Gotteshaus noch nie zuvor betreten habe – …

… und dann an ansonsten ungesehenen Schätzen der Wiener Innenstadt vorüber …

… zur Hofburg, durchs Burgtour, an der guten Maria Theresia vorbei und schließlich über die Mariahilfer Straße zur Barnabitenkirche, in deren unmittelbarer Nachbarschaft ich viele Jahre lang gewohnt habe.

Dann lasse ich möglichst schnell das monströse Architekturvergehen „Bahnhofcity Wien West“ hinter mir und setze meinen Weg durch die äußere Mariahilfer Straße fort. Die Ruhe, die sich auf dem Bild unten rechts widerspiegelt, darf ich allerdings hier nicht erleben, weil der Baustellensommer schon begonnen hat und überall gelärmt und gestaubt wird.

Vor dem Technischen Museum biege ich in den Auer-Welsbach-Park (früher wegen der vielen Junkie-Hinterlassenschaften auch „Needle Park“ genannt) ein und halte auf Schloss Schönbrunn zu, um durch die erfreulich verlassenen Parkanlagen zum Hietzinger Platzl zu marschieren … und in der dortigen Bücherkabine zu schauen, ob ich irgendein trashiges Taschenbuch aus den 60er oder 70er Jahren entdecke. Aber leider nein.

An dieser Stelle schlägt das von mir konsultierte Jakobsweg-Wanderbuch wieder einmal eine ordentliche Abweichung vom markierten Weg vor: „Gehen Sie nicht durch die langweilige Auhofgasse“, sagt es, „sondern steigen Sie bei der Kennedybrücke gleich zum Wienfluss hinunter und spazieren Sie an ihm entlang.“ Will ich aber nicht, weil: öd und leer, langweilig und – vor allem – Radfahrer. Und wir wissen ja nicht erst seit der vorigen Episode, was wir von denen zu halten haben.
Also gehe ich am alten Café Dommayer, das sich trotz der Übernahme durch die Oberlaa-Konditoreikette kaum verändert hat, vorbei zur Auhofstraße, die ich nun von Anfang an erkunden will. Es heißt ja immer, dass man seine eigene Heimatstadt zu Fuß neu entdecken soll – und diese Straße, die ich nur in ihren äußeren Teilen kenne, ist das einzige auf dieser Etappe, was ich noch nie vorher gesehen habe. Schön ist sie … und überzeugt bei den niederen Nummern durch stilsichere alte Villen, Botschaftsgebäude und andere Relikte aus der Zeit, als die Architekten noch was konnten. Irgendwann überquert man auch die Gleise der Verbindungsbahn; erst danach machen sich immer mehr seelenlose Gemeinde- und Genossenschaftsbauten bemerkbar, mit denen die Partei auch diesen Bezirk auch unter ihre Kontrolle bringen konnte.

Bei der U4 Hütteldorf steige jetzt auch ich hinunter zur Wien und wandere weiter stadtauswärts. Störend (aus all den bekannten Gründen) sind hier nicht nur die Radfahrer, sondern diese blödsinnigen Foodora-etc.-Lebensmittelboten, die mit ihren Elektromopeds überall dort fahren, wo sie nicht sollen und dürfen. Aber auch das geht vorbei.

Später stoße ich auf dieses bemerkenswerte Schild:

Was ist bloß aus dem früheren „starken Regen“ oder den „heftigen Regenfällen“ geworden?! Warum übernehmen alle (auch die vielen Wetter-Apps, die alle was anderes sagen) diesen grauslichen Begriff aus Piefke-Wetterbericht-Politsendungen? Und was muss sich ein Schildermaler denken, der vor der keineswegs dankbaren Aufgabe steht, den Text „Wasserschwall bei Starkregen“ für die Nachwelt zu fixieren?
Wir wissen es nicht und wollen eigentlich auch nicht weiter darüber nachdenken.

Stattdessen freue ich mich über den Abstecher von der Wien zur Pfarr- und Wallfahrtskirche Mariabrunn in Hadersdorf, an der ich oft vorbeigefahren, die ich aber nie richtig zur Kenntnis genommen habe. Auch wieder ein Stück Stadt, das sich kennenzulernen lohnt. Hier lese ich mit Interesse die Legende vom Fund der Marienstatue, die diesem Gotteshaus ihren Namen gegeben hat, nehme ein Flascherl Weihwasser mit und bestaune einmal mehr die Gestaltung einer Kirche. Schön langsam zeigt der Jakobsweg seine Wirkung: Ich wende mich mehr und mehr vom Weltlichen ab (drüber stänkern wird man ja wohl noch dürfen …) und dem Christlich-Spirituellen zu.

Auf der Fortsetzung des Wegs komme ich dann zur höchst weltlichen Pizzeria Bardolino, die man auch aus unserem unverzichtbaren Buch Wandern im Wienerwald kennt, biege bei einem Kriegerdenkmal in die Herzmanskystraße ab, wo ein Rabe diese schöne, efeubewachsene Villa bewacht …

… und verlasse nach der Station Wien-Weidlingau endlich die Hauptstadt, die ich nun zwei Wandertage lang ein wenig besser kennengelernt habe, als ich das eigentlich wollte. Relativ geradlinig geht es nun nach Purkersdorf und zur dortigen Jakobskirche weiter, wo mich auch eine Statue des Heiligen erwartet, der mir für den weiteren Weg alles Gute wünscht.

Hätte er mir diesen frommen Wunsch doch lieber für die Heimfahrt mitgegeben! Meine Frau hat am Sonntag in Purkersdorf noch den Zug bestiegen und ist einfach zurückgefahren. Ich hingegen sehe mich mit der deprimierenden Meldung konfrontiert, dass seit Montag Schienenersatzverkehr herrscht. Also über Brücke und Schnellstraße zur Busstation. Dort wartet ungefähr eine Viertelmillion Schüler, die sich grundsätzlich durch lauten Zuruf miteinander verständigen, obwohl der Großteil ihrer Konzentration offenbar ihrer ganz persönlichen Fernsteuerung via Smartphone gewidmet ist. Ich warte also einen Bus ab und steige erst in einen weniger überfüllten ein. Es nieselt. Ich komme in Hütteldorf an. Ich fahre mit U-Bahnen nach Hause.
Und wie so oft ist die Heimreise anstrengender als die ganze Wanderung.

ABER: Ab jetzt wird alles anders. (ph)

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