Mission Kaisermühlen

Wir haben uns ernsthaft überlegt, ob wir Wien auslassen sollen.

Schließlich wandert man nicht gern durch eine Großstadt – schon gar nicht durch die eigene. Nicht nur wegen des dauernden Asphalts, sondern weil wir Wien eh schon kennen (und Teile davon gar nicht kennen wollen). Was mich auf Kaisermühlen bringt: Privat kann ich sagen, dass von dort noch nie was Gutes gekommen ist, außer vielleicht die legendäre „Alltagsgeschichten“-Folge, die uns eine völlig andere Welt zeigte …

Generell steht der echte Wiener Transdanubien eher misstrauisch gegenüber, das galt einst sogar für jene Leute, die wie ich im 20. Hieb aufgewachsen sind. Obwohl jetzt schon etliche U- und Schnellbahnen in die jenseitigen Gebiete fahren – wer nicht muss, der hält sich fern von Transdanubien. Das habe ich auch einem guten Freund gesagt, der vor einem Jahr für ein paar Monate nach Wien übersiedeln wollte und mich fragte, welche Bezirke er eher meiden solle: „Ottakring bis zur Vorortelinie und Transdanubien“, habe ich spontan geantwortet. Prompt hat er für ein paar heiße Sommerwochen (mit Kebabgeruch) eine Erdgeschoßwohnung im 16. Bezirk angemietet, bevor er nach Floridsdorf gezogen ist. Manchen Leuten kann man nicht helfen.

Nun denn – unser Vollständigkeitswahn brachte uns dann doch dazu, die zwei Wiener Jakobsweg-Etappen zu gehen (wenn auch nicht gemeinsam, ich hatte immer noch den Vorsprung meiner wunderbaren Frau einzuholen). Begonnen hat jeder von uns bei der Jakobskirche in Schwechat; als die Gattin dort war, rief sie mich an, ob ich eventuell dort am Vortag meine Fremdenlegions-Sonnenschutz-Kappe dort vergessen habe, weil sie hat so eine neben dem Stempel gefunden. Und tatsächlich war es meine Kappe, deren Fehlen ich wegen meiner Schwächung in Schwechat noch gar nicht bemerkt hatte. Gott hat’s genommen, und Gott hat’s gegeben.

Tags darauf mache auch ich mich auf den Weg, sage in der Jakobskirche noch einmal Dank und gehe bemützt die 2 km zu der Brücke zurück, die auf den Wiener Jakobsweg führt. Durch ein ruhiges Vorstadtviertel (siehe oben) wandere ich auf den Alberner Hafen zu, wobei der Wegweiser einmal direkt nach rechts zeigt, sodass ich die Straße verlasse und auf begrünten Dämmen weiterspaziere. Anscheinend haben die Markierer hier nur gemeint, dass man auf der anderen Straßenseite fortsetzen soll, aber es ist egal, die Wege kommen wieder zusammen. Den Abstecher zum Friedhof der Namenlosen lasse ich aus, weil ich dort eh schon öfters war (sollte man aber gesehen haben), und die Hafenkneipe hat am Tag des Herrn geschlossen.

Geschickt angebrachte Jakobsweg-Pickerln weisen mich auf die Brücke zur Freudenauer Hafenstraße …

… und danach zum Kraftwerk Freudenau, auf dem ich die Donau überquere.

Aber leider nicht ganz. Der Pilgerweg führt nämlich auf der Donauinsel weiter, stundenlang – so kommt es mir zumindest vor – und immer auf Asphalt. Als wäre das nicht schon schlimm genug, sind in diesem „Naherholungsgebiet“ (wer sich hier erholen kann, gehört auch hierher) noch dazu die Radfahrerer aktiv. Und die kennen, wie wir alle wissen, weder Rücksicht noch gesunden Menschenverstand. Sie radeln gern nebeneinander her, auch zu viert, brüllen einander dabei an, weil sie sich unbedingt während der Fahrt was erzählen müssen, sind aber dafür nicht imstande, zu klingeln, wenn sie sich einem Fußgänger nähern, und rasen stattdessen so knapp vorbei, dass sie einen fast touchieren. Dass viele davon ihre Gefährten und -innen auf Piefkinesisch anbrüllen, gibt einen ersten Hinweis darauf, was in dieser Stadt falsch läuft. Und dabei sind wir noch gar nicht richtig in Transdanubien.

Auf einer Schleusenbrücke überquere ich dann die neue Donau und werfe einen sehnsüchtigen Blick auf Kahlenberg und Leopoldsberg, um schließlich und endlich in Kaisermühlen anzukommen.

Hier ist es auf den ersten und zweiten Blick gar nicht so schlimm (wie gesagt: private G’schichten), obwohl mir das Marterl für den heiligen Koloman natürlich zu denken geben sollte. Dieser irische Königssohn – oder Wanderprediger – hatte sich auf die lange Pilgerreise nach Jerusalem gemacht, doch am 17. Juli 1012 wurde seine Wallfahrt abrupt unterbrochen, als man ihn für einen böhmischen Spion hielt und kurzerhand erhängte. Andererseits: Das war nicht in Kaisermühlen, sondern in Stockerau. Aber dort will ja auch keiner hin.

Am Kaisermühlendamm und auf dem Schnitterweg marschiere ich an Bade- und Bootsteichen vorbei, gehe dann einen guten Kilometer zu weit, weil ich eine Abzweigung verpasst habe (selber schuld), lande aber dann doch auf dem Schüttauplatz bei der Herz-Jesu-Kirche. Die schaut sehr erfreulich aus, …

… lädt auch Jakobsweg-Pilger herzlich ein, weist aber andererseits auf diversen Schildern darauf hin, dass Kinder zwar willkommen sind, aber die Kirche bitte nicht als Spielplatz benützen sollen; und dass die Opferkerzen „wegen immer wiederkehrender Vandalenakte“ entfernt werden müssen und nur während der Gottesdienste zur Verfügung stehen. Das ist scheußlich und ein weiterer Hinweis darauf, was in Wien los ist.

Nach dem Abstempeln des Pilgerpasses erfreue ich mich trotz allem an einem hier angebrachten frommen Gebet, …

… einem schönen Altar …

… und der Hoffnung, dass der heilige Geist nicht nur dafür sorgt, dass wir in Zungen sprechen, sondern uns auch alle erleuchten möge.

Zwischen endlosen Gemeindebauten halte ich auf die größenwahnsinnigen Hochhäuser zu, die man jenseits der Donau installiert hat, entdecke wieder einen Wegweiser und trete den langen Marsch über die Reichsbrücke an.

Die imposante Kirche St. Franziskus von Assisi am Mexikoplatz hat leider schon zu, als ich dort ankomme (an einem Sonntag!). Die Sandlerschlafstätten auf den Stufen und vor mehreren der Eingänge sowie der Spießrutenlauf durch den Park bis zum Gotteshaus sind weitere Hinweise … ja, ich hör’ schon auf!

Lieber gehe ich durch die Lasallestraße zum an Hinweisen auch nicht armen Praterstern, suche dann die Aida an der Ecke Praterstraße auf eine Melange und eine Topfengolatsche auf – und beschließe, diese Filiale in Zukunft zu meiden. Es war mein dritter Versuch, dort auf Höflichkeit und Service zu treffen; stattdessen wird man als Gast mit einer unsympathischen, zwideren Laune und einer Neuentdeckung der Langsamkeit konfrontiert, auf die man wirklich verzichten kann. Also weiter zum Donaukanal, den ich auf der Marienbrücke mit ihrer viel zu wenig beachteten Marienstatue überquere, um mich dann über die Rotenturmstraße durch sonntägliche Touristenhorden zum Stephansplatz hinaufzuquälen.

Dortselbst soll es laut Website des Vereins Jakobsweg Wien im Domshop oder im Beichtzimmer den Stempel für den Pilgerpass geben. An beiden Stellen weiß man nichts davon, hätte sowohl meiner Frau als auch mir gern die Beichte abgenommen. Im Shop rät man mir, es in der Pfarrkanzlei zu versuchen, die aber nur unter der Woche offen hat. Ich werfe also noch einen Blick auf die Gläubigen, die hier zwischen Menschenmassen Lichter anzünden und andächtig zu sein versuchen – und beschließe, die nächste Etappe hier zu beginnen. Vielleicht ist dann weniger los.

Der Verein Jakobsweg Wien, dem wir übrigens auch unsere Pilgerpässe verdanken, hat anscheinend seine Adresse am Stephansplatz 6 verloren und sucht ein neues Quartier. Dazu abschließend noch eine kleine Geschichte: Als ich die Kontakt-Telefonnummer anrufe, um mich zu erkundigen, wo es denn nun den Stempel gibt (das war vor der Auskunft im Domshop), meldet sich einer, der gleich per du mit mir ist und sagt, dass man sich ja irgendwo irgendeinen Stempel holen kann, auch in einer Bäckerei oder einem Kaffeehaus in der Nähe, weil das angeblich genauso gilt. Ich erwähne dann noch, dass wir demnächst eine Spende überweisen wollen, als Dank für die Pässe, da sagt der Mensch: „Jåjå, is jå wuascht.“

Ich bin schon froh, dass er am Schluss des Satzes nicht noch ein „Oida“ angehängt hat. Als Pilger muss man auch für Kleinigkeiten dankbar sein. (ph)

zur 1. Etappe

zur nächsten Etappe


2 Gedanken zu “Mission Kaisermühlen

Hinterlasse einen Kommentar