Jakobsweg ist nicht gleich Jakobsweg.
Das fängt schon damit an, daß es eine ganze Menge davon gibt, die aus allen möglichen Ländern nach Santiago de Compostela führen. Der möglichen Routen sind daher unzählige. Doch auch in Sachen österreichischer Jakobsweg sind sich nicht alle einig. Wie und warum er entstand, das kann man in der allwissenden Netzmüllhalde nachlesen; dass aber sogar die Wegbeschreibung seines Erfinders oft von der heute beschilderten und markierten Route abweicht, ist ein Symptom, das uns auf unserer Weitwanderung immer wieder begegnen wird.
Wenn Sie drei Bücher über den Jakobsweg mithaben, dann unterscheidet sich die Wegführung in allen dreien, manchmal sogar ziemlich radikal (Motto: „Gehen Sie einfach an der Donau weiter statt irgendwo im Hinterland bergauf und bergab“), das gleiche gilt für Apps und Internet-Anleitungen – wobei es sowieso nach wie vor möglich sein sollte, eine Wanderung ohne das depperte Smartphone zu unternehmen, damit man nicht auf freiem Land genauso in das Kastl glotzen muss wie all die Handy-Junkies in der Stadt, in den U-Bahnen, Eisenbahnen, überall.
Halten wir uns also an die Markierungen. Nach denen muss man zwar oft genau Ausschau halten, und manchmal fehlen sie auch an entscheidenden Stellen, also bei Wegkreuzungen oder -gabelungen, wie das bei Wanderwegen leider gelegentlich der Fall ist, aber im wesentlichen kommt man damit ganz gut durch. Und das habe ich (mit Unterstützung eines handlichen Wanderbuchs) auch heute vor, als ich mit der Schnellbahn nach Wildungsmauer zurückfahre und allein darangehe, den Vorsprung meiner reizenden Frau wettzumachen.


Also geht’s gleich einmal von der Bahnstation in den Ort hinein, bis ich vor der Kirche stehe – einem schlichten und durchwegs sympathischen Bau, bei dem ich mir den ersten Stempel des Tages hole.


Danach lasse ich mich von einem praktisch angebrachten „Jakobspfeil“ auf die richtige Route locken, die wieder aus dem Ort hinausführt, auf die Straße zu.

Parallel zu dieser und den Bahngleisen verläuft schnurgerade ein Asphaltweg, der auf die nächste Ortschaft – Regelsbrunn – zuführt.

Bei der dortigen Kirche schaue ich nicht genau genau und verpasse daher den Wegweiser. Statt in einem Bogen am Ortsrand entlangzugehen, kehre ich wieder zur Straße zurück und durchquere Regelsbrunn auf ihr. Aber wie das bei diesen unfreiwilligen Abstechern häufig so ist, trifft man bald wieder auf die richtige Route. Auf dem Haslauer Weg geht es weiter, schnurstracks zwischen Wiesen und Feldern hindurch (das Marterl auf dem Teaserbild habe ich auf diesem Abschnitt entdeckt).

Als nächstes führt mich der Jakobsweg nach Haslau, wo – wie in den meisten Ortschaften – praktisch kein Mensch auf der Straße ist, außer vor dem Lokal Haslauerhof, das sich gerade aufs Aufsperren vorbereitet. Hierher führt übrigens auch eine der Routen aus unserem empfehlenswerten Buch Wandern mit Kindern; dazu eine kleine Anekdote: Als wir damals nach der Donau-Überfahrt die Stufen zum Schanigarten und Hintereingang des besagten Landgasthauses hinaufgeklettert waren und dort etwas zu uns nehmen wollten, beschied uns ein junger Kellner, daß leider alles ausreserviert sei. In einem halbleeren Lokal. Am Nachmittag. Gut, der Bub war ein Läufel und vertrat eventuell nicht die Interessen des Eigentümers – aber anscheinend legte er keinen Wert auf verschwitzte Wanderer und deren Konsumation. Da wir aber nicht nachtragend sind, haben wir den Haslauerhof trotzdem in besagtes Buch aufgenommen.
Und jetzt ist es sowieso zu früh für ein Mittagessen. Also pilgere ich an der Aufbahrungskapelle von Haslau vorbei …

… und verlasse auch diesen Ort wieder, um nach nicht allzulanger Zeit Maria Ellend und die dortige Wallfahrtskirche zu erreichen. Weil die Gattin mir erzählt hat, dass sie keinen Zutritt zu dieser schönen kleinen Kirche gefunden hat, probiere ich einfach eine Tür nach der anderen aus, drei an der Zahl, bis ich zu einem Nebengebäude komme, wo an der Tür „Eingang“ steht. Hartnäckig muss man bleiben … und die Lesebrille aufhaben. Drinnen erwarten mich ein Zugang zur Kirche, ein wenig Stille und ein Stempel.
Übrigens: Die „Elenden“, die auf dem Mosaik rechts unterhalb angesprochen werden, sind nicht der Grund für den Namen dieser kleinen Gemeinde. Der soll nämlich davon herrühren, dass im 14. Jahrhundert ein angeschwemmtes Marienbild am Donauufer vorgefunden wurde; und aus „Maria Anlandt“ (angelandet) entwickelte sich der heutige Name.


Wer noch etwas Schönes entdecken will, weicht hier kurz vom offiziellen Jakobsweg ab, überquert die Straße und betritt den großen, schattigen Park, in dessen Zentrum sich eine beeindruckende Lourdesgrotte befindet. Hier kann man – unter der Woche, wenn so wie jetzt keine Leute da sind – in sich gehen, einen Rosenkranz beten, meditieren und/oder jausnen.

Das Gelände ist groß genug, um vielen Wallfahrern Platz zu bieten, und hat etwas wirklich Inspirierendes, vom Engel am Eingang …


… bis zum König der Könige.

Aber jetzt weiter – erst auf Asphalt, aber dann nach etlichen Gewerbegebäuden über einen schmalen Weg ans Ufer der Fischa, wo ich ca. eine Stunde lang auf einem stillen, naturbelassenen Waldweg unterwegs sein darf.


Erst die Unterquerung einer grauenhaft hässlichen Autobahnbrücke reißt mich aus dem Idyll heraus und bereits mich darauf vor, dass ich nun Fischamend erreiche. In der dortigen Kirche St. Michael gibt’s wieder einen Pilgerstempel – und überraschenderweise auch etwas Süßes.


Nun soll es wieder ans Donauufer gehen – aber zu einfach will man es dem Wanderer nicht machen. Also noch einmal Unterquerung der grauslichen Autobahn, dann auf einer sonnengleißenden Grobschotterstraße noch ein Stück an dieser Lärmquelle entlanghatschen, bevor der Weg in einen lichten Wald abbiegt und dann über Wiesen zum Fluss. Dass der Flughafen Schwechat nicht weit ist, sieht man auf dem Bild unten rechts deutlich.


Am Donauufer entlang oder wenigstens über hohe Wiesen und auf Wegen durch den Auwald geht es flussaufwärts. Einmal lasse ich mich durch ein Schild „Treppelweg“ dazu verleiten, den Altarm auf einem steinernen Pfad zu überqueren und mich auf einer wahrlich einsamen Insel weiterzubewegen. Hier hat seit dem großen Hochwasser vom vergangenen Herbst offenbar keiner irgendwas unternommen, außer vielleicht ein paar Fahrende, die am Nicht-Weg ihre Lager aufgeschlagen und leere Getränkeflaschen hinterlassen haben. Markierung gibt’s sowieso keine. Da mir irgendwann entrisch wird und ich nicht weiß, ob es sich um eine Halbinsel oder eher doch eine schmale Insel zwischen Donaustrom und Altarm handelt, arbeite ich mich irgendwann durch die Wildnis zurück, suche wieder den kaum sichtbaren Wiesenpfad auf und gehe auf diesem – wie ich hoffe – regulären Weg weiter.

Auf dem merke ich dann nach ca. 20 Minuten, dass ich eh auf der Sandlerinsel weitergehen hätte können, auch wenn die Einmündung in meinen jetzigen Weg vorübergehend gesperrt ist.
Als mich der Weg später nach links von der Donau wegbringt, erwartet mich wieder die Asphalthölle. Aber vorher komme ich noch an dieser angeblichen Kläranlage vorbei, die mir wieder einmal zeigt, was ich längst weiß: Die Außerirdischen sind gelandet. Und sie stinken nach Sch…

Nach einer Straßenetappe und einem Dann gelange ich ins Ortsgebiet von Mannswörth. Auf den letzten Kilometern lief ich schon Gefahr, leicht zu halluzinieren, weil ein Liter Trinkwasser auf so einer Etappe einfach zu wenig ist – und die voreilig gelobten Trinkbrunnen so dünn gesät sind, dass ich schlicht gar keinen getroffen habe. Ich besuche also kurz die Pfarrkirche von Mannswörth (es darf gestempelt werden!), bevor ich zum Sportplatz zurückschleiche, wo sich gerade junge und nicht mehr so junge Menschlein beim Fußballtraining verlustieren.
Selbiges ist mir natürlich völlig egal, ich reflektiere vielmehr auf das Sportplatzbüffet, das schon öfter den müden Wanderer mit kühlen Erfrischungsgetränken versorgt hat. So eines gibt es auch hier. Aber es hat zu. Auf meine Frage, ob es denn bald aufsperrt, sagt mir ein hilfsbereiter Sportfex: „Die kummt eh glei.“ Tut sie nicht. Irgendwann gebe ich auf, zapfe mir Wasser vom Waschbecken des Herrenklos, mache einen heftigen Schluck und zweifle ob des bitteren Geschmacks heftig an der Trinkbarkeit des Suds.

Also durstig weiter, auf asphaltierten Damm- und Radwegen durch Erholungsgebiet, Richtung Schwechat.



Irgendwann zweigt dann der Wiener Jakobsweg über eine Brücke rechts ab, aber dieses Vergnügen hebe ich mir für die nächste Etappe auf.

Stattdessen zwei Kilometer weiter auf der Fußgängerpromenade, unter vielen Eisenbahn- und Straßenbrücken durch, zunehmend dehydriert, bis ich endlich auf dem Hauptplatz von Schwechat vor der Jakobskirche stehe.


Drinnen überlege ich mir schon, ob ich nicht eventuell einen Schluck Weihwasser nehmen soll, aber das tut man nicht. Abgestempelt und abgekämpft, müde und mit fiebrigem Blick verlasse ich also das Gotteshaus wieder, als sich mir eine junge Dame von einem Wahlstandl der NEOs nähert. Ich will sie schon wegwacheln, wie üblich – weil: Wahlwerbung. Und NEOS –, da fragt sie mich: „Wollen Sie was zu trinken? Sie schauen so durstig aus.“
Gott ist gütig. Und gerecht.
Zwei Kracherln und einen NEOS-Schokotaler später mache ich mich nach dieser Gut-30-km-Etappe auf den Weg zur Busstation, um die Fahrt Richtung Zentralfriedhof anzutreten. Nicht, weil ich dort liegen gehen will, sondern weil ich in der Nähe wohne. Punktum. (ph)
3 Gedanken zu “Geschwächt in Schwechat”