Nekropolis

Ich weiß nicht, was es ist, das uns in jeder besuchten Stadt früher oder später (eher früher) auf den Friedhof treibt. Vielleicht die Tatsache, dass es viel über Menschen verrät, wie sie mit ihren Verstorbenen umgehen – gerade in einer Zeit, wo einige Leute Friedhöfe „uncool“ finden und nicht mehr hingehen, sondern stattdessen irgendwelche „virtueller Grabstein“-Apps auf ihren Dummphones haben. Möglicherweise liegt’s aber auch daran, dass man manchmal einfach gern dem Touristentrubel entkommt und einen Ort der Ruhe aufsucht. Oder es ist der ganz einfache Grund, dass Friedhöfe einfach schön sind …

Bevor wir aber den wunderschönen alten Friedhof von Bologna besuchen, hier ein kurzer Abriss der eineinhalb recht regnerischen Tage, die uns quer durch die Stadt und schließlich dorthin führten. Frühstücke wie immer mit Croissant/Cornetto/Brioche und Cappuccino im Eataly, dann noch einmal ein Besuch (diesmal aber ein ausführlicher) in der wunderbaren Basilica Santuario Santo Stefano, die eigentlich aus mehreren Kapellen, Gewölben, Innenhöfen, Gruften, einem Nachbau vom Grab Jesu in Jerusalem und einem interessanten Museum besteht – Frühstück und Kirchengelände siehe oben.
Unten ein paar Anblicke, die wir auf unseren Wegen aufgeschnappt haben: Meerjungfrauenkunst in einer Galerie, Straßenkunst aus der Hölle und eine seltsame Dreifaltigkeit in der Kirche.

Mit Kapuze und unter Arkaden ging es dann weiter ins Museo Civico Archeologico, wo den Interessierten lange Gänge und große Hallen voller Schätze erwarten, von der Villanova-Kultur der frühen Etrusker über römische und griechische Hinterlassenschaften bis zu einer großartigen ägyptischen Sammlung. Leider stellt sich bei mir nach einiger Zeit die „Museumskrankheit“ ein: Das Licht, die Stille und das langsame Vorwärtsschlurfen von einem Exponat zum anderen erzeugen eine derartige Müdigkeit, gepaart mit Kreuzweh, dass man sich am liebsten nur mehr irgendwo niedersetzen oder ganz schnell ausschreiten möchte. Ob so oder anders – alles, was das archäologische Museum zu bieten hat, kann man sich unmöglich bei einem einzigen Besuch anschauen. Und das ist schon wieder ein Grund, mindestens noch einmal nach Bologna zu reisen.

Am Donnerstag beschließen wir, wegen der leichten bis mittelschweren Regenfälle noch einmal durch den Portico zur Kirche San Luca hinaufzuspazieren, diesmal aber vom ersten bis zum letzten Bogen. Das empfiehlt sich bei Regen und unter der Woche durchaus, vor allem, weil da viel weniger Leute unterwegs sind … Und es trägt auch zur notwendigen Ertüchtigung bei. Beim Abstieg biegen wir dort ab, wo wir letztes Mal eingestiegen sind, beim über die Straße führenden Bogen Arco de Meloncello. Durch weitere Arkaden und an einem Fußballstadion vorbei halten wir uns bergab, bis wir am Friedhof Certosa – eigentlich Cimitero Monumentale della Certosa di Bologna – einlangen. Als wir dort ankommen, hört es grad so nach und nach zu regnen auf und wir betreten ehrfürchtig das Gelände, das vom Tourismusbüro als „Monumentalfriedhof“ bezeichnet wird.

Suchen Sie auf diesem Friedhof nicht nach Prominentengräbern (obwohl: auf Lucio Dalla oder Alfieri Maserati werden Sie vielleicht von selber stoßen), sondern genießen Sie die Stimmung, die Bolognas ältere Totenstadt seit Jahrhunderten zum beliebten Ziel für die Feinspitze unter den Touristen macht. Und diese Stimmung ist vor allem im nachlassenden Regen, wenn es überall tröpfelt und kein Sonnenschein stört, kaum zu übertreffen. Die alten Grabmäler und luxuriösen Familiengruften in den Kreuzgängen und den Hallen sind fast durchwegs sehenswert; besonders positiv fällt uns auf, dass viele Grabstätten offenbar häufig besucht werden – und dass sich unter uns noch eine Etage mit weiteren Gräbern befindet, die man gelegentlich durch Bodengitter zu sehen bekommt und die nur von der einen oder anderen Kerze erleuchtet ist. In den Stufenabgängen tropft das Wasser, und wir beschließen, dass es uns heute zu finster für die Unterwelt ist. Aber ein anderes Mal steigen wir sicher da hinab.

Bis dahin bewundern wir Sarkophage, wunderschöne Engelsstatuen, Statuengruppen, Glaskuppeln, Mosaike und die unzähligen anderen Schätze, die der Cimitero zu bieten hat.

Immer wieder stößt man auf Zeichen von Renovierungen, auf abgesperrte Bereiche, auf Baustellen (wo natürlich nichts gearbeitet wird … aber vielleicht liegt’s ja an der Uhrzeit. Oder am Wetter) und eingestürzte Gräber. In manchen Hallen bemühen wir uns besonders vorsichtig, über rissige Bodenbereiche und Steinplatten hinwegzusteigen, weil wir sonst mitsamt dem Mauerwerk in einer der unteren Hallen landen könnten. Und dort findet einen bei dem Wetter sicher nicht so bald wer.

Und immer wieder sind wir von den Kunstwerken begeistert, mit denen ehrenwerte Dynastien hier ihrer verstorbenen Angehörigen gedenken …

… ebenso wie von der (nur leicht überfluteten) unterirdischen Halle, die zu den Gräbern verdienter Generäle oder anderer Militärgrößen führt, oder von den allgegenwärtigen Engeln, die darauf achten, dass auf dem Weg ins Jenseits alles mit rechten Dingen zugeht.

Andererseits kann es auch passieren, dass man auf die am schlechtesten gelaunte Todesbegleiterin stößt, die man je gesehen hat (siehe Bild unten). Wäre interessant, welche Geschichte sich dahinter verbirgt …

Natürlich gibt’s noch unzählige andere Objekte, Erinnerungen und Figuren, die man sich hier ansehen kann: steinerne Mädchen mit frischen Blumen, den müden Tod und lange Gänge, die voller Überraschungen stecken. Auf dem Friedhof ist auch ein hochinteressantes Monument für die Partisanen Bolognas zu betrachten, das man unbedingt selbst sehen sollte, um es zu glauben.

Ansonsten trösten wir uns zu guter Letzt alle damit, dass wir vielleicht einst nicht vergessen werden. Schöner als die Grabskulptur auf dem Bild unten kann man diesen Wunsch kaum ausdrücken …

PS: Wir haben übrigens herausgefunden, warum vor der Basilica San Petronio Bewaffnete stehen und aufpassen, wer diese schöne Kirche betreten will: wegen des Wandgemäldes, das auf dem Bild unten zu sehen ist. Es ist an der Wand eines Extra-Altars befestigt, für den man auch extra Eintritt zahlen muss (das Photo ist von draußen aufgenommen und daher ein bissl schief; drinnen herrscht Photographierverbot) und zeigt Himmel und Hölle nach Dantes „Inferno« – mit Schwergewicht Hölle, weil die immer schon interessanter war. Dort sieht man einen haarigen, monströsen Teufel, der oben Menschen frisst und sie unten wieder ausscheidet, umgeben von Sündern, die in den diversen Höllenkreisen für ihre Vergehen auf Erden leiden müssen. Der nackte Kerl, der rechts oberhalb des Satanskopfs an den Felsen gebunden ist, hat sich der Ketzerei schuldig gemacht – und sein Name steht deutlich daneben: Mohammed.
Die Soldaten/Polizisten (?) vor der Tür sollen also die üblichen Verdächtigen davon abhalten, das Gotteshaus um ihre Meinung zu dem Bild zu bereichern. Gut so. Und außerdem verbieten sie klobigen Ami-Girls, in knappen Hotpants die Kirche zu betreten, was ästhetisch auch von Vorteil ist. Und wir haben wieder was gelernt. (ph)


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